Aus dem Leben eines Schrottsammlers Bosnien-Herzegowina, Frankreich, Italien, Slowenien 2013 – 74min.

Filmkritik

Eisenharte Realität

Urs Arnold
Filmkritik: Urs Arnold

Eine Unmenschlichkeit gegenüber einer Roma-Familie veranlasste Regisseur Danis Tanoviċ, den Low-Budget Film An Episode in a Life of an Iron Picker zu drehen. Dabei wird der wahre Fall von den davon betroffenen Menschen nachgespielt.

Nazif lebt mit seiner Frau Senada und den beiden kleinen Töchtern in äusserst bescheidenen Verhältnissen. Als Eisensammler zerlegt er Autos, und macht die Teile zu Geld. Für den Unterhalt der Familie langt es gerade so.

In der verschneiten zentralbosnischen Roma-Siedlung, in der sie ein kleines Haus bewohnt, herrscht trotz der harten Lebensumstände ein enger sozialer Zusammenhalt. Ausserhalb bläst den Eheleuten jedoch unversehens ein eisiger Wind ins Gesicht. Als Senada nämlich eine Fehlgeburt erleidet, weigert sich das städtische Spital, sie einem lebensnotwendigen Eingriff zu unterziehen. "Kein Geld, keine Operation", weist der Arzt die Frau barsch zurück.

Versichert ist die Familie nicht, die verlangten 980 Mark - umgerechnet etwa 600 Franken - ist für sie ein horrender Betrag. In den nächsten Tagen versucht Nazif verzweifelt einen Weg zu finden, das Geld zu beschaffen, während sich Senadas Zustand merklich verschlechtert.

Als der bosnische Regisseur Danis Tanoviċ (No Man's Land“) im Dezember 2011 auf einen Artikel in einer lokalen Zeitung stösst, empört in dieser so stark, dass er der Geschichte nachgeht. Sie handelt von einer Frau, der aus finanziellen Gründen eine Operation verweigert wird. Oder anders formuliert: Die aus finanziellen Gründen dem Tod überlassen wird.

Diese erschütternde Episode des Versagens des Sozialstaats, und der Menschlichkeit im allgemeinen, wollte Tanoviċ nicht bloss als "wahre Geschichte" deklariert wiedergeben, sondern mit dem grösstmöglichen Realismus. Gelungen ist es ihm eindrücklich. Der Film mutet in seiner ungekünstelten Ausdruck geradezu dokumentarisch an. Er schildert seine Geschichte direkt und ehrlich. "Oh Gott, warum lässt du immer nur die Armen leiden?", fragt sich Nazifs Bruder einmal. Ein Satz, dessen Echo aus der ganzen Welt zurückhallt.

Lediglich neun Drehtage wendete Tanoviċ für dieses mit bescheidenem Budget ausgestattete Projekt auf. Dafür konnte er die Personen als Darsteller gewinnen, welche die Geschichte tatsächlich erlebt haben. Nazif Mujić, Senada Alimanović, die Kinder, die Dorfbewohner - alle spielen sie sich selbst in diesem uns so unwirtlich erscheinenden Lebensraum. Mujić erhielt für seine Darbietung sogar den Darstellerpreis an der Berlinale.

An Episode in a Life of an Iron Picker ist Kino im Auftrag des Humanismus. Schützt der Staat nicht das Leben und die Würde seiner Bürger, werden solche Filme notwendig. Tanoviċ' sorgfältige Rekonstruktion nimmt mit seiner Authentizität ein - aufrichtiger kann ein Spielfilm kaum sein.

18.02.2024

4

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Kommentare

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gefuehlsmensch

vor 10 Jahren

wirklich sehr gut.


aiilsv

vor 11 Jahren

Toller Film sehr sehr sehenswert!


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