CH.FILM

Die grosse Erbschaft Schweiz 2010 – 92min.

Filmkritik

Geschichten erzählen Geschichte

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Ein liebenswürdiges und unterhaltsames Stück Tessiner Sozialgeschichte: Fosco Dubini durchsucht das alte Tessiner Haus seiner Grosseltern und entdeckt Relikte, die an Menschen erinnern, die hier lebten.

Ein Telefonanruf. Das Haus der Grosseltern sei abgebrannt, so Vater Lino. Und so begibt sich der Filmemacher Fosco Dubini, der in Köln lebt, nach Lodrino, ein 500-Seelen-Dorf im Tessin, in dem einst seine Grosseltern lebten. Gemeinsam mit dem Vater durchstöbert er das von einem Brand arg in Mitleidenschaft gezogene Haus. Die russbedeckten Lampen, Figuren, Teller werden zum Schattenspiel und wecken Foscos Jagdfieber. Die geizige Grossmutter soll hier in dem brandgeschädigten Bau einen Schatz versteckt haben.

Bruder Donatello stösst bei der Schatzsuche hinzu, später tritt auch der Dritte im Brüderbund auf: Architekt Cardo, der die dokumentarischen Reise produziert hat. Die Räume, Winkel, Gegenstände, die alten Fotografien der Sonderlinge, die in diesem Haus ihr Leben verbrachte - alles erzählt eine Geschichte: Hier lebte eine geschlossene Gesellschaft: vor allem eingewanderte Italiener, die von den Tessinern nicht als Schweizer akzeptiert wurden.

Doch die Schatzsuche der Dubini-Brüder ist mehr als eine nostalgische Reliktensammlung: Sie wird zur erhellenden Erinnerungsarbeit, zur Dokumentation eines Stücks Tessiner Sozialgeschichte. Vom Prolog - dem Beginn des Abbruchs des Hauses bis zum Epilog (dem Dorf fällt nichts Besseres ein, als das Dubini-Grundstück mit einem Parkplatz zuzupflastern) - spannt sich der weite Bogen, es werden Umstände und Verhältnisse sichtbar. Und am Ende erheben sich die alten Mauern aus Schutt und Asche wundersam wieder - im Film.

Die grosse Erbschaft wächst an sich selbst und weit über eine Familienchronik hinaus, ist jederzeit spannend und amüsant. Die Brüder, aber auch Verwandte, Zeitzeugen, Söhne und Cousins machen die Vergangenheit lebendig. Fosco Dubini, der Chef-Schatzsucher, fungiert dabei als Handkameramann und Erzähler, der am Ende dank seiner Mutter nicht ganz leer ausgeht. Zwischendurch werden immer wieder sehr poetische Texte von Barbara Marx eingestreut. Und so öffnet sich ein scheinbar totes Haus wie ein Füllhorn von Leben und Schicksalen. Oder wie Marx es formuliert: "Das Gehäuse zeigt wie kein anderes diese aus Kalkül und Not geborene Übereinkunft der Einwanderer." Ein sehr persönliches Filmdokument, das mit leichtem ironischem Unterton ein wunderbares Vermächtnis ist. Auch mit, von und für den im Frühjahr verstorbenen Donatello Dubini.

15.02.2024

4

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