CH.FILM

Le grand chalet de Balthus Schweiz 2003 – 53min.

Filmkritik

Verwunschene Künstlerresidenz

Filmkritik: Irene Genhart

"Le Grand Chalet de Balthus" von Irene Loebell ist weit mehr als bloss ein Gang durch die letzte Wohn- und Werkstätte des grossen Malers. Es wird auch ein poetisches Porträt des grössten je im Alpenraum erbauten Holzhauses gemalt.

"Es gibt manchmal glückliche Momente, in denen sich etwas lang Vergangenes vor die Gegenwart schiebt und einen mitnimmt in die Vergangenheit" - So beginnt Irene Loebell "Le Grand Chalet de Balthus". Der Film allerdings, einiges handfester als der esoterisch angehauchte Anfangskommentar, ist ein Porträt des "Grand Chalet" im freiburgischen Rossinière, des grössten je im Alpenraum erbauten Holzhauses, gefilmt mit viel Gespür für Atmosphäre und Stimmungen.

Bis zu seinem Tod im Jahr 2001 wohnte Balthus zusammen mit seiner zweiten Gattin Setsuko Klossowska de Rola und der gemeinsamen Tochter Harumi im "Grand Chalet". Loebell unternimmt unter der Führung von Balthus’ Witwe einen filmischen Spaziergang durch das Haus. In charmant gebrochenem Französisch erläutert Setsuko Einrichtungen und Funktionen der Räume: Als Balthus 1977 das zuletzt als Hotel genutzte Haus kaufte, liess er nicht nur dessen Fassade in den Originalzustand zurück versetzen, sondern richtete für sich und seine Familie auch einige der insgesamt über 60 Räume speziell ein ein.

So gibt es nebst verschiedenen Schlafzimmern und Ateliers einen "Victor Hugo"-Salon, ein Pflanzen- und ein Kanarienvogel-Zimmer und ein "Chambre de poupée". Etwas Surreales haben diese Räume an sich, in denen sich Setsukos japanische und Balthus’ okzidentale Herkunft vermischen. Hier spiegelt sich der Geist der märchenhaften Atmosphäre, die auch Balthus' Bilder prägt.

Nebst den prunkvoll zurechtgemachten gibt es andere Zimmer, in denen Spinnweben hängen und Zeugnisse vergangener Tage vor sich hindämmern. Eine riesige Hotelküche samt Vorratskammern, Wandschränke voller Hotelgeschirr, Abstellkammern, in denen unzählige Stühle herumstehen. Ausgehend von diesen Räumen weitet Loebell ihren Film aus. Sie stellt neben die Aufnahmen von heute alte Fotos und Pläne, neben Setsukos Erläuterung die Erinnerungen von Sabina Bach, die in ihrer Kindheit als Harumis Freundin oft im Chalet zu Gast war und Balthus Modell sass.

Dazu gesellen sich die Erzählungen des Gemeindeschreibers, der auf Grund des Nachlassen des Erbauers von der Entstehung des "Grand Chalet" und seiner Nutzung vom Prunkbau bis zum Käselager zu berichten weiss sowie die Erinnerungen betagter Dörflerinnen, die als junge Mädchen im Nobelhotel "Grand Chalet" ihr erstes Geld verdienten.

Geruhsam erzählt "Le Grand Chalet de Balthus" von einem extravagant verwunschenen Haus und dessen vorletztem Bewohner, der das Gebäude zur Universalbühne seines Lebens machte. Es ist ein gefälliger Film, an dem höchstens zu bemängeln ist, dass er erstaunlich wenig Einblick in Balthus’ Werk und Leben vermittelt.

26.11.2003

3.5

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