Kritik5. April 2019 Irina Blum
Netflix-Kritik «Quicksand»: Aufwühlende Krimiserie über die Folgen eines Amoklaufs
Mit der Adaption des preisgekrönten Romans «Im Traum kannst du nicht lügen» von Malin Persson Giolito erblickt die erste schwedische Netflix-Serie das Licht der Welt. Erzählt wird darin aus der Perspektive einer jungen Frau, die eines ungeheuerlichen Verbrechens beschuldigt wird.
Serien-Kritik von Christopher Diekhaus
Auf den barschen Befehl eines Mannes folgen Schüsse. Dann gleitet die Kamera in einer nahen Einstellung, die keine Orientierung ermöglicht, langsam durch ein Klassenzimmer. Auf dem Boden: Blutlachen, menschliche Körper. Und im Hintergrund dumpfes, panisches Geschrei. Nach einer Weile gerät ein Gewehr in den Blick. Anschliessend die apathisch dreinschauende Maja Norberg (Hanna Ardéhn), die nur wenig später von schwerbewaffneten Einsatzkräften aufgegriffen wird.
Ohne Vorwarnung schleudern Head-Autorin Camilla Ahlgren («Die Brücke – Transit in den Tod») und ihre kreativen Mitstreiter den Zuschauer in das Geschehen hinein und etablieren mit dem unvermittelten Auftakt das grundlegende Gestaltungsprinzip ihrer sechs Episoden umfassenden Serie. «Quicksand - Im Traum kannst du nicht lügen» konzentriert sich fast ausschliesslich auf das Erleben Majas und bekommt durch die unruhige, den Figuren auf die Pelle rückende Kameraarbeit einen geradezu dokumentarischen Charakter.
Die nicht gerade wendungsarme Handlung hält das Interesse des Zuschauers konstant aufrecht.
Erst nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus beginnt die 18-jährige Protagonistin langsam zu begreifen, dass sie in einer denkbar ungünstigen Lage steckt. Das Blutbad, das sich an ihrer Schule, einem Gymnasium in einem wohlhabenden Vorort Stockholms, ereignet hat, wird ihr zur Last gelegt. Und die ermittelnde Kommissarin (Rebecka Hemse) bemüht sich eifrig, Beweise für eine Verurteilung zusammenzutragen. Maja, die sich an vieles nicht erinnern kann, beteuert ihre Unschuld und muss sich im Beisein ihres Anwalts Peder Sander (David Dencik) schon bald kräftezehrenden Befragungen stellen. Darin dreht sich fast alles um ihre Beziehung zu Sebastian Fagerman (Popstar Felix Sandman). Einem unangepassten, bei dem Amoklauf ums Leben gekommenen Klassenkameraden, mit dem sie das Massaker geplant haben soll.
Was treibt Menschen zu einem rücksichtslosen Rundumschlag, zu einem Akt der Gewalt, dessen einziges Ziel pure Zerstörung ist? Diese jedes Mal nach einem Blutbad aufgeworfene Frage steht auch im Zentrum von «Quicksand» und erhält eine besondere Brisanz, da sich die mutmasslichen Täter nicht so einfach in übliche Klischeebilder pressen lassen. Maja und Sebastian kommen aus vermögenden Familien, haben Freunde, können sich leisten, wonach ihnen der Sinn steht, und wissen nicht, wie sich echte Existenzängste anfühlen.
Den Beginn ihrer romantischen Liaison während eines Urlaubs kleiden die Macher in beinahe träumerische Aufnahmen, enthüllen in den regelmässig eingeschobenen Rückblenden aber ebenso schnell handfeste Abgründe. Mehr und mehr erweist sich Sebastian als Adrenalin-Junkie, als selbstzerstörerischer Hedonist, der gegen den Leistungsgedanken seines grosskotzigen, steinreichen Vaters (Reuben Sallmander) aufbegehrt und seine Frustrationen mit Drogen zu betäuben versucht. Sein Sonnyboy-Auftreten und seine Impulsivität ziehen die intelligente, vorher nie auffällig gewordene Maja magisch an, die sich zunehmend in einer toxischen Partnerschaft zu verlieren droht.
Die Macher spielen bis kurz vor Schluss mit der Ungewissheit, ob Maja schuldig oder unschuldig ist.
Mit manchmal etwas dicken Pinselstrichen zeichnet «Quicksand» ein Milieu, in dem sich verwöhnte Jugendliche ohne echte Prinzipien und von oberflächlichen Dingen besessene Eltern tummeln. Ehrliche, einfühlsame Kommunikation findet hier so gut wie gar nicht statt. Den erschreckend herablassenden Blick mancher Oberschichtvertreter auf Ausländer und einkommensschwache Menschen bringt die Serie in einer Folge recht abrupt und holzschnittartig zur Sprache, setzt damit aber zumindest kleine politische Akzente.
Auch wenn einige Nebenfiguren – etwa Sebastians Vater – einen Tick zu undifferenziert erscheinen und die Eingrenzung auf Majas Blickwinkel eine stärkere, emotional durchaus ergiebige Auseinandersetzung mit den Opfern des Amoklaufs und ihren Angehörigen verhindert, hält die nicht gerade wendungsarme Handlung das Interesse des Zuschauers konstant aufrecht. Vor allem deshalb, weil die Macher bis kurz vor Schluss mit der Ungewissheit spielen, ob Maja nun schuldig oder unschuldig ist.
3.5 von 5 ★
«Quicksand - Im Traum kannst du nicht lügen» ist seit dem 5. April auf Netflix verfügbar.
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