Artikel29. Juli 2022 Michelle Knoblauch
Zuhause unterwegs: Road Movies und die Sehnsucht nach der Ferne
Das Road Movie ist ein Genreklassiker der Filmgeschichte. Ob im Auto auf der Flucht vor der Polizei wie in «Bonnie & Clyde» oder querfeldein auf dem Traktor, um den kranken Bruder zu treffen, so wie es David Lynch in «A Straight Story» inszeniert hat. Die Antriebe der Bewegung sind ebenso vielfältig wie die Fortbewegungsmittel. Wir haben euch 11 grossartige Roadmovies zusammengestellt, die die Sehnsucht nach dem Reisen und der Ferne etwas lindern, und Inspiration für den eigenen Aufbruch bieten.
...und es muss nicht immer die Strasse sein, auch in der Eisenbahn, auf dem Schiff oder gar zu Fuss – wie es «Forrest Gump» bei seiner Selbstfindung durch die US-Geschichte getan hat – kann man der Erkenntnis entgegengondeln. Gemein ist allen Filmen jedoch, dass es weniger um das Erreichen des Ziels geht, sondern um die Bewegung an sich.
1. «303» (2018)
Jan ist überzeugt, dass der Mensch egoistisch ist. Jule hingegen glaubt, dass der Mensch mitfühlend und kooperativ ist. Sie bietet Jan einen Platz in ihrem 303-Oldiewohnmobil an, um nach Spanien zu reisen. Sie selber ist unterwegs zu ihrem Freund nach Portugal.
Mit jedem gemeinsam zurückgelegten Kilometer eröffnet sich den beiden mehr von der Welt des anderen. Lebenshungrig und romantisch, ein zauberhaftes und humorvolles Roadmovie zwischen Fernweh und dem Wunsch, irgendwo anzukommen.
4 von 5 ★
Deutschland | 120 Minuten
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2. «Compartiment No. 6» (2021)
Eine zufällige Begegnung in einem Zugabteil zwischen zwei jungen Menschen auf dem Weg in den Norden des asiatischen Festlandes, nach Murmansk. Ein Zusammentreffen, zwischen zwei Fremden, welche in ihrer Meinung und Haltung nicht unterschiedlicher sein könnten. Laura (Seidi Haarla) möchte die Petroglyphen einer archäologischen Stätte im arktischen Meer besichtigen. Der kahlgeschorene Minenarbeiter Ljoha (Yuriy Borisov), der sich mit derben Sprüchen und Wodka als unausstehlicher Nachbar präsentier, schlägt denselben Weg ein, jedoch aus beruflichen Gründen.
Der Finne Juho Kuosmanen schickt zwei Aussenseiter auf eine amüsante und berührende Reise, auf der sie – ganz ohne Kitsch – mit der Wahrheit ihrer Gefühle konfrontiert werden.
4 von 5 ★
Finnland | 107 Minuten
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3. «To the Ends of the Earth» (2019)
Eine japanische Starmoderatorin weilt in Usbekistan, um für eine Reisesendung die ursprünglichen und exotischen Seiten des Landes zu entdecken. Aber nichts läuft wirklich wie geplant.
Kiyoshi Kurosawa gehört längst zu den wichtigsten Filmschaffenden Asiens. Für einmal verlässt er hier seine mitunter harte Vision der modernen Welt, um uns eine friedlichere und optimistischere Reise anzubieten.
4 von 5 ★
Usbekistan | 120 Minuten
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4. «Qué tan lejos - How Much Further» (2006)
Ecuador und die Anden bilden das wunderbare Dekor für dieses Roadmovie, in dem zwei junge Frauen unterwegs sind nach Cuenca, der friedlichen Gartenstadt im Süden. Esperanza kommt aus Spanien und reist durch Ecuador auf der Suche nach Entdeckungen und auf den touristisch empfohlenen Spuren. Teresa studiert in Quito, der Hauptstadt Ecuadors. Sie macht sich auf den Weg, ihren Geliebten in Cuenca daran zu hindern, eine andere Frau zu heiraten.
Unterwegs lernen die beiden, die der Zufall im Bus zusammenbringt, einander und zwei sehr unterschiedliche Männer kennen. Sie durchqueren die halluzinierende Bergwelt Ecuadors und fahren an die Küste, weil ein Streik den Verkehr lahmgelegt hat. «Qué tan lejos» ist ein anregender Film über das Reisen, das Unterwegssein und über Begegnungen zwischen Menschen. Ein Vergnügen für Reisefreudige.
3 von 5 ★
Ecuador | 91 Minuten
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5. «Wajib - Verpflichtung» (2017)
Annemarie Jacir begibt sich auf eine humorvoll ernsthafte Fahrt durch Nazareth. Der in Rom lebende Architekt Shadi ist zu Besuch in seinem Heimatort. Er soll dem Vater dabei helfen, die Einladungen zur Hochzeit seiner Schwester persönlich zu überbringen, wie dies in Palästina traditionell gemacht wird. Wir erleben die Tücken einer Vater-Sohn-Beziehung und tauchen ein in die Gegenwart Nazareths. Besonders reizvoll dabei: Mohammad und Saleh Bakri sind auch im wirklichen Leben Vater und Sohn.
«Wajib» ist der bislang intensivste Spielfilm, den Annemarie Jacir geschrieben und inszeniert hat. Man spürt, dass sie selber nach Jahren im Exil heimkehren konnte und sich wohl fühlt, wenngleich die Situation auch in Nazareth alles andere als eine entspannte ist. Aber sie will vom Alltag erzählen, dem Leben, das sich da abspielt, und die ihre Geschichte mit dem einzigartigen Schauspielerpaar Saleh und Mohammad Bakri erzählt. Sie hat gleichzeitig jede noch so kleine Rolle delikat besetzt, erzählt über Gesichter, Körper, Gesten, aber auch mit Elementen wie Architektur, Dekor, Kleidung, Klängen.
5 von 5 ★
Ecuador | 97 Minuten
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6. «Demain» (2015)
Das Szenarium ist düster. Gemäss einer Studie dürfte unser Ökosystem spätestens gegen Endes dieses Jahrhunderts zusammenbrechen. Der Dokumentarfilm der Schauspielerin Mélanie Laurent und des Aktivisten Cyril Dion zeigt ökologische, wirtschaftliche, auch demokratische Neuansätze, Lösungen und Ideen. Eine spannende, aufschlussreiche, vor allem auch engagierte und hoffnungsvolle Arbeit.
5 von 5 ★
Frankreich | 120 Minuten
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7. «Modest Reception» (2012)
Ein Mann, eine Frau, ein Auto voller Geldbündel und eine karge Berglandschaft im Iran: Auf einer Reise ins Nirgendwo verteilt ein ungleiches Pärchen haufenweise Geld und stösst auf wenig Gegenliebe. Eine schroffe Parabel über Geld, Moral und Manipulation, inszeniert von Mani Haghighi, der gleich auch noch die Hauptrolle übernimmt.
Allein die ersten fünf Filmminuten sind im Spielfilm «Modest Reception» schon eine Wucht. Selten wird man so tollkühn in eine Handlung eingeführt, in keinem Augenblick weiss man, wie die Dinge stehen und was sich da wirklich abspielt. Nicht, dass die Handlung zu diesem Zeitpunkt besonders komplex wäre, aber sie überrascht. Und damit ist der Tarif fürs Kommende vorgegeben.
4 von 5 ★
Iran | 100 Minuten
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8. «A Dragon Arrives!» (2016)
Die Geschichte beginnt wie eine Dokumentation: Detektiv Hafizi soll den Selbstmord eines Verbannten klären. Zusammen mit einem Toningenieur und einem Geologen kurvt er in einem orangenen Chevrolet durch die Wüste und inspiziert das gestrandete Schiffswrack, wo der politische Gefangene hauste. Sie entdecken merkwürdige Zeichen und Aufzeichnungen und hören seltsame Geräusche. – Der Iraner Mani Haghighi entwirft ein Puzzle, dessen Kern 50 Jahre zurückliegt und auf einer wahren Begebenheit beruhen soll.
Ist das, was wir sehen, wirklich? Und wenn es wirklich ist, ist es auch wahr? Dieses Vexierspiel treibt der Kinofilm ständig mit dem Zuschauer. Der Iraner Mani Haghighi («Men At Work»), Regisseur, Autor und Schauspieler, hat eine diebische Freude daran, dieses Verwirrspiel in seinem jüngsten Film «A Dragon Arrives!» auf die Spitze zu treiben.
4 von 5 ★
Iran | 108 Minuten
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9. «Honeymoons» (2009)
Zwei Länder, zwei Pärchen, zwei Pläne - ein Ziel: In Albanien und Serbien nehmen zwei Unternehmungen ihren Anfang, die viele Gemeinsamkeiten aufweisen, unter anderem den ungewissen Ausgang.
Der chauvinistische, gegenseitige Hass benachbarter Völker prägt das Denken und Leben auch derjenigen, die sich längst um eine pragmatische Zukunftsperspektive bemühen. Alle Vier sind noch nicht 25 und wollen die rachsüchtige Enge ihrer Gesellschaften hinter sich lassen. Ohne es zu ahnen, gehen sie dabei ein hohes Risiko ein. Der serbische Altmeister Goran Paskaljevic liefert ein blendend besetztes Lehrstück vom Format einer griechischen Tragödie, das aber perfekt die Situation um das Veröffentlichungsjahr des Films reflektiert.
4 von 5 ★
Serbien | 92 Minuten
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10. «Teret - The Load» (2018)
«Teret - The Load» lässt den Kinobesucher die Schrecken des Kosovokriegs aus ungewöhnlicher Perspektive erleben. Mittendrin: Ein Transportwagenfahrer, der eine ominöse Fracht vom Kosovo nach Belgrad transportieren muss.
Seit kurzem verdingt sich Vlada (Leon Lucev) im Balkankrieg als Fahrer. Was er transportiert, weiss er nicht. Auch das genaue Ziel ist zunächst unklar. Sein Auftrag: Die Ladung ohne Stopp unversehrt abzuliefern. Unterwegs gabelt er einen Jugendlichen auf, der den Kosovo verlassen will. Paja (Pavle Cemerikic) möchte sein Glück in München versuchen. Vlada und Paja bilden eine Fahrgemeinschaft der aussergewöhnlichen Art, während sie die von Bombenkratern übersäten Landstriche des Kosovo durchqueren.
4 von 5 ★
Palästina | 98 Minuten
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11. «Salz dieses Meeres» (2008)
Soraya (Suheir Hammad) – eine junge Palästinenserin, die in New York lebt, reist nach Israel, in jenes Land, aus dem 60 Jahre zuvor ihre Grosseltern vertrieben wurden. Sie reist zunächst nach Ramallah und möchte – erfolglos – Geld von einem Konto abheben, das ihr Grossvater vor der Verteibung auf einer palästinensischen Bank angelegt hatte. Bei dieser Gelegenheit macht sie Bekanntschaft mit einem in Ramallah geborenen Palästinenser (Saleh Bakri), der noch nie am Meer war. Gemeinsam machen sie sich auf zu einer Reise ins Haus ihrer Vorfahren ins einstige Jaffa, das heute ein Stadtteil von Tel Aviv ist.
Der erste lange Spielfilm der Regisseurin und Drehbuchautorin Annemarie Jacir zeigt eine Amerikanerin mit palästinensischen Wurzeln auf der Suche nach den Orten ihrer Vorfahren und überhöht dabei die Situation in Nahost auf poetische Weise.
3 von 5 ★
Palästina | 105 Minuten
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