Schwungvoll inszeniert und vor allem in der Hauptrolle stark gespielt – so präsentierte sich die 2020 veröffentlichte Jugendbuchadaption «Enola Holmes», in der sich alles um die junge Schwester von Meisterdetektiv Sherlock Holmes dreht. Einigen erzählerischen Schwächen zum Trotz avancierte der Netflix-Film zu einem Erfolg, den nun ein zweites Abenteuer fortsetzen soll.
Artikel von Christopher Diekhaus
1. Zupackend-lebendige Heldin
Wie schon im Vorgänger tritt Enola Holmes (Millie Bobby Brown) als redegewandte Kämpferin auf, die gegen die starren Konventionen der viktorianischen Gesellschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert anrennt. Von ihrer unangepassten Mutter Eudoria (Helena Bonham Carter) zu Selbstständigkeit erzogen, hat sie nach der Lösung ihres ersten Falls eine eigene Detektei gegründet.
Zunächst aber bekommt sie schmerzhaft zu spüren, wie geringschätzig Frauen mit beruflichen Ambitionen in ihrer Zeit behandelt werden – was sie kurz an ihrem Weg zweifeln lässt.
Der erneut von Harry Bradbeer («Fleabag», «Killing Eve») inszenierte und von Jack Thorne («The Aeronauts») geschriebene Film beschreibt seine Protagonistin nicht als alles und jeden in die Tasche steckende Superheldin, sondern gesteht ihr Unsicherheiten zu, die aus Enola ein facettenreiche Figur machen. Dieses Mal tut sie sich sogar – so viel sei verraten – mit ihrem berühmten Bruder Sherlock (Henry Cavill) zusammen, dessen leicht belehrende Art des Öfteren durch den Kakao gezogen wird.
Ob es die romantischen Entwicklungen zwischen Enola und dem aus Teil 1 bekannten Lord Tewkesbury (Louis Partridge) braucht, ist hingegen mehr als fraglich. Grossartig bereichern kann der Rückgriff auf alte Hollywood-Muster die Geschichte jedenfalls nicht.
2. Starke Hauptdarstellerin
Ihr Stern ging auf mit der Netflix-Hitserie «Stranger Things», und inzwischen gehört Millie Bobby Brown zu den gefragtesten Schauspielern ihrer Generation. Bereits in «Enola Holmes» stellte sie eindrucksvoll unter Beweis, dass sie einen ganzen Film mit ihrer Präsenz und ihrem Charisma tragen kann. Nicht anders verhält es sich in der Fortsetzung.
Auch hier überzeugt der Shootingstar mit einem unbekümmert-dynamischen Auftreten und zeigt, wie man komische Situationen richtig timt. Einmal mehr entschädigt Browns Performance für manche Unebenheit im Drehbuch. Und erneut übernimmt die Hauptdarstellerin auch als Mitproduzentin des Films kreative Verantwortung.
3. Verspielt-einfallsreiche Gestaltung
Wenig verwunderlich behält «Enola Holmes 2» den flotten, leichtfüssigen Inszenierungsstil des ersten Teils bei und stellt damit sicher, dass trotz einer üppigen Laufzeit von über zwei Stunden nie Langeweile aufkommt. Immer wieder wird das Geschehen durch visuelle Spielereien und kleine Kunststücke, etwa eingeschobene Animationen, aufgelockert, die natürlich auch den kreativen Eifer der Hauptfigur visuell greifbar machen sollen.
Besonders in der ersten Hälfte durchbricht Enola häufig die vierte Wand und wendet sich mit ihren augenzwinkernden Kommentaren direkt an das Publikum. Ein Kniff, den man allerdings – das muss man am Ende konstatieren – noch raffinierter einsetzen könnte. Ähnliches galt schon für den Ursprungsfilm.
4. Prächtige Kostüme und eindrucksvolles Produktionsdesign
Wer den ersten Film gesehen hat, wird wenig überrascht sein: «Enola Holmes 2» ist jederzeit anzumerken, dass reichlich Geld zur Verfügung stand, um das London des viktorianischen Zeitalters zum Leben zu erwecken. Die Kostüme sehen prächtig aus. Und auch das Szenenbild schreit eigentlich nach einer grossen Leinwand.
Die Ausstattungsabteilung unter Leitung Michael Carlins durfte sich erneut richtig austoben und viel Liebe ins Detail stecken. Einziger Makel: Hier und da wirkt das Ganze etwas zu poliert. Vor allem dann, wenn wir in die Welt der armen Leute eintauchen, hätte es ruhig ein wenig erdiger und dreckiger werden können.
5. Fiktives und Historisches gekonnt vermischt
War der Kriminalfall in «Enola Holmes» nicht sehr originell konstruiert, fällt die Suche der Titelheldin nach einer verschwundenen jungen Arbeiterin dieses Mal etwas komplexer und wendungsreicher aus. Noch Stärker als im Vorgänger vermischen die Macher dabei Erfundenes mit historisch verbürgten Ereignissen. Im Zentrum: kapitalistische Ausbeutung und die Rolle der Frau in der viktorianischen Gesellschaft.
Der emanzipatorische Geist, der auch die Fortsetzung durchweht, steckt an, wird jedoch – das kennen wir schon aus dem ersten Film – in den Dialogen manchmal übertrieben explizit beschworen. Die Botschaften vermitteln sich, ohne dass man sie dem Zuschauer ständig vorkauen müsste.
3 von 5 ★
«Enola Holmes 2» ist seit dem 4. November auf Netflix verfügbar.
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